Zeichnen ist lernbar
Zeichnen und Talent
Natürlich hilft Talent, wenn wir in einem bestimmten Feld etwas erreichen wollen. Egal ob in der Küche, beim Leistungssport, auf einer Bühne oder vor der Kamera, im Musikbusiness oder der Kunst; Talent macht es einfacher.
Aber mit Talent alleine erreicht niemand etwas!
Viel wichtiger sind Fleiss, Geduld, Offenheit dazu zu lernen und der Wille jeden Tag ein bisschen besser zu werden.
Und natürlich sollte man Spass daran haben etwas zu tun. Ich meine damit nicht nur den Spass und die Befriedigung am Resultat, sondern besonders den Spass an der Tätigkeit selbst.
Wir sollten uns nicht zum Joggen zwingen um ein Rennen zu gewinnen, sondern wir sollten Spass am Joggen selbst haben. Schenkt uns eine Tätigkeit Freude, Befriedigung und Energie, dann müssen wir uns nicht zum Training zwingen. Das Training wird zum Bedürfnis und wir werden schneller Fortschritte machen, als uns bewusst ist.
Dies alles trifft auch auf die Fähigkeit des Zeichnens zu.
Zeichnen ist ein Handwerk. Und ein Handwerk ist lernbar (nicht nur von den Supertalenten).
Es gibt Tipps und Tricks, Gesetzmässigkeiten, Theorien und Fähigkeiten, die man trainieren kann.
Weder in direktem Kontakt noch im Internet bin ich je einem Zeichner oder einer Zeichnerin begegnet, die ihr Können nur ihrem Talent verdankt.
Es heisst: In jedem von uns stecken 10'000 schlechte Zeichnungen, die erst raus müssen, bevor die Guten erscheinen. Durch die Unterstützung von guten Vorbildern/Lehrpersonen kann der Prozess nur beschleunigt, aber nicht abgekürzt werden.
Das klingt sicher eher nach einer schlechten und erst noch anstrengenden Nachricht.
Es gibt jedoch auch gute Nachrichten:
- Zeichnen ist wirklich lernbar! Und Sie können es auch ohne besonderes Talent weiter bringen, als Sie glauben.
- Vielleicht haben Sie ja sogar Talent, aber wissen es nicht, weil sie es nie ernsthaft probiert haben.
- Natürlich werden Sie nicht erst bei der Zeichnung Nr. 10'001 ein Erfolgserlebnis haben, sondern fast jeden Tag. Die Reise geht Schritt für Schritt für Schritt.
- Mit jedem Schritt den Sie in die richtige Richtung machen, macht das Zeichnen auch mehr Spass.
Zeichnen und Kunst
Der Begriff Kunst ist heute leider ziemlich schwierig zu definieren. Er ist so weit gefasst, dass fast jede menschliche Tätigkeit als Kunst bezeichnet wird, wenn sich die Verursacher selbst als Künstler bezeichnen. In der Kunstszene wird ausserdem Kunst und Kunsthandwerk heute stark getrennt, was vorher während Jahrtausenden nicht der Fall war.
Ich erwähne das nur, weil Zeichnen als Handwerk natürlich in Gefahr läuft von der Kunstszene nicht so Ernst genommen zu werden, wie wenn einer mit Klebeband eine Banane an die Wand klebt.
(Das Werk von Maurizio Cattelan, bzw. die Idee dazu wurde zuletzt für 6.2 Millionen US-Dollar versteigert...!).
Aber verlassen wir dieses glitschige Thema. Natürlich sind Zeichnungen im klassischen Sinn eine Kunstform. Gleichzeitig ist die Fähigkeit zu zeichnen und zu skizzieren eine wichtige Grundlage verschiedener Kunstformen, insbesondere natürlich der gegenständlichen Kunst. Proportionen, Bildgestaltung, Kontraste, Perspektive usw. lernt man beim Zeichnen und erhält damit die Grundfähigkeiten um später auch mit anderen Medien zu arbeiten.
Als junger Mensch habe ich selber den Fehler gemacht, aus dem Stand heraus ein Künstler sein zu wollen, bevor ich richtig zeichnen lernte (in der Schule wurden mir leider in neuen Jahren Zeichenunterricht keinerlei Grundlagen beigebracht...).
Ich konnte meine Werke zwar ein paar Mal ausstellen und einige sogar verkaufen. Aber aus heutiger Sicht fehlten mir die Grundlagen. auf die ich kontinuierlich hätte aufbauen können. Erst viel später habe ich versucht diesen Rückstand aufzuholen, und bin eigentlich immer noch dabei...
Wofür sind Zeichnungen eigentlich?...
Für mich sind Zeichnungen in erster Linie ein Kommunikationsmittel. Zeichnungen sind älter als die Schrift (viele Schriften sind sogar aus Zeichnungen entstanden) und wollen immer etwas mitteilen oder erzählen. Egal ob ein Porträt, eine Landschaft, ein Architekturplan, eine Landkarte oder die Entwurfsskizze eines neuen Autos; immer sollen Informationen weitergegeben werden. Menschen sind stark visuell funktionierende Wesen. Bilder werden von uns schneller aufgenommen als Worte, und direkter mit Emotionen verknüpft. Sehr oft können komplexe Informationen (z.B. Gebrauchsanweisungen, Stadtpläne, Statistiken) viel besser über Bilder vermittelt werden, als über Worte.
Daraus folgt, dass die Fähigkeit zu zeichnen einen grossen, praktischen Wert in unserem privaten und beruflichen Alltag haben kann.
Zeichnen in kreativen Berufen
Die ersten beruflichen Anwendungen, die uns in den Sinn kommen sind vielleicht: Architektur, Illustration, Comic-Bücher, Cartoon und Ähnliches. Aber skizziert und gezeichnet wird natürlich auch in der Modebranche, im Produktedesign (von Küchengeräten über Uhren bis zum Lastwagen), für Bühnenbilder, Film- und Game-Industrie (Concept Design, Character Design, Story Boarding usw.). Immer dort wo etwas Neues entworfen wird, steht am Anfang eine Handskizze.
Ja aber heute gibt es doch Computer und KI, hör ich es schon schreien.
Computer sind nur praktische Werkzeuge. Eine Art Bleistifte, die Strom brauchen.
Man muss ihnen genau sagen, was sie tun sollen. Per Maus (bei Konstruktionsprogrammen z.B. in der Architektur) oder per Stift auf Grafik Tablets. Ich selber arbeite oft mit KRITA um digitale Bilder zu erstellen. Aber dazu muss ich zeichnen können!
Bei komplexen Bildern erspart mir der Computer viel Zeit. Für eine schnelle Skizze unterwegs, oder im Gespräch mit Kunden, sind Stift und Papier jedoch unschlagbar.
Es ist übrigens schon für einen Menschen schwierig, die Wünsche von Kunden genau zu verstehen, oder humorvolle Zeichnungen zu erstellen. Ob KI, da je den Menschen ersetzen kann, wage ich zu bezweifeln. Das ist noch einmal ein paar Stufen höher, als die richtige Anzahl Finger zu zeichnen...
Zeichnen in anderen Berufen und im Alltag
Ein gutes Anwendungsbeispiel sind Sketch notes. Die kleinen, einfachen Zeichnungen, die jeden Vortrag, jedes Flipp Chart Protokoll abwechslungsreicher und besser verständlich machen. Nicht zu vergessen, dass visuelle Informationen schneller aufgenommen werden und Sprachbarrieren überwinden können.
Auf der Baustelle oder in einem Kundengespräch ist eine schnelle Skizze oft viel effizienter als eine verbale Erklärung,
Zeichnen hilft auch uns selber, unsere Gedanken zu ordnen, Klarheit zu erlangen und neue Ideen zu kreieren.
Für den Einstieg ins Berufsleben
In unserem Schulsystem herrscht anscheinend die Meinung vor, dass Zeichnen für ein zukünftiges Berufsleben nicht wichtig ist, und die talentierten (siehe oben) SchülerInnen ja eine Kunstschule oder ähnliches besuchen können.
Der Haken ist bloss, dass Kunst- bzw. Designschulen meistens nur eine sehr begrenzte Anzahl Plätze pro Jahr anbieten. Deshalb muss man sich in der Regel an einer Aufnahmeprüfung gegen sehr viele gute MitbewerberInnen durchsetzen können.
Zeichnen ist in der Schule heute integriert in das Fach bildnerisches Gestalten. Also leider ein Nebenfach im Nebenfach, obwohl es eigentlich fundamentale Fähigkeiten vermitteln sollte. Nach meiner Erfahrung haben auch nach sieben bis neun Jahren "Zeichenunterricht" die meisten SchülerInnen keine Ahnung von Perspektive, Bildeinteilung, Kontrasten, Schattierung usw.
Viele scheitern schon an der Aufgabe ein paar Würfel, oder sonst einen einfachen Gegenstand abzuzeichnen.
Damit haben sie an einer Aufnahmeprüfung schlechte Chancen, besonders an Schulen im Ausland.
Kinder und Jugendliche, die einen gestalterischen Beruf erlernen möchten, sollten deshalb früh genug ausserschulischen Zeichenunterricht besuchen und zu hause regelmässig üben.
Schliesslich muss sich auch wer ein Konservatorium besuchen möchte, oder von einer Sportkarriere träumt, ausserhalb des regulären Schulunterrichts ernsthaft vorbereiten.
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